Herr Müller-Kronberg, in welchem Maß sind Kunden bereit, Mehrkosten für klimafreundliche Transportoptionen zu tragen?
Peter Müller-Kronberg: Wir sehen zunächst ein steigendes Interesse an innovativen, klimaneutralen Transportmöglichkeiten. Bei der großen Mehrheit der Kunden? Heute sicher noch nicht. Unsere Erfahrung ist, dass es Kunden braucht, denen eine nachhaltige Dienstleistung etwas wert ist. Dass das mit Kosten verbunden ist, ist klar. Wenn wir uns ein großes E-Lkw-Projekt aus dem vergangenen Jahr anschauen, bei dem wir für unseren Kunden Ottobock aus Einbeck einen Transport von Südniedersachsen nach Paris durchgeführt haben, dann hätten wir die Sendung natürlich auch klassisch mit dem konventionellen Lkw oder per Luftfracht transportieren können. Aber die Option, klimafreundlich mit dem E-Lkw zu fahren, hat sowohl für Ottobock als auch für uns zu 100 Prozent gepasst.
Welche Rolle spielen klimafreundliche Transporte bei Ausschreibungen?
Eine verbindliche Berücksichtigung in Ausschreibungen ist nicht die Regel. Dennoch spielen klimafreundliche Transporte eine Rolle. Wir sprechen die Möglichkeiten im Transportbereich aktiv an. Auch weil es noch viel Skepsis gibt, was E-Lkw leisten können. Wir haben die Fahrzeuge heute im Regelbetrieb, das ist kein Test oder Pilotprojekt. Klimafreundliche Transporte mit dem E-Lkw, unter der Prämisse, dass Ökostrom geladen wird, reduzieren direkt CO₂-Emissionen. Die Kunden können diese im Rahmen ihrer Berichtspflicht ausweisen.
Inwiefern profitiert Ihr Geschäft von der Pflicht, Treibhausgasemissionen zu dokumentieren?
Wenn man bedenkt, dass allein in Deutschland bis zu 15.000 Unternehmen unter die Berichtspflicht der CSRD-Richtlinie fallen könnten und Transport- und Logistikdienstleistungen einen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette von Unternehmen ausmachen, profitieren wir eindeutig von der Dokumentationspflicht. Es gibt aber noch einen anderen Blickwinkel. Eine neue Studie der Non-Profit-Organisation CDP in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Oliver Wyman kommt zu dem Ergebnis, dass Unternehmen, die ihre Umweltdaten offenlegen, ihre Emissionen um sieben bis zehn Prozent senken. Transparenz beeinflusst den Verbrauch. Das heißt, die systematische Erfassung von Daten ist für das eigene Unternehmen entscheidend. Wir können die entstehende Transparenz nutzen, um gezielt zu steuern, zu optimieren und weitere Reduktionen zu erreichen. Als weitere Einflussfaktoren nennt die Studie einen Transitionsplan für die eigene Entwicklung und die Einführung eines internen CO2-Preises - beides Themen, an denen wir bei Zufall schon seit einiger Zeit arbeiten.
Bekommen Sie die Kosten für die Dokumentation der Treibhausgasemissionen, also etwa Personalaufwand und Software, ersetzt? Falls ja: In welchem Umfang?
Nein. Die Dokumentation und systematische Erhebung von Zahlen ist geschäftsrelevant und nicht nice to have. Die Dokumentation gibt uns wichtige Hinweise auf Optimierungspotenziale. Wie für alle anderen Daten gilt auch für Treibhausgasemissionen: Nur was ich messe, kann ich auch verändern. Modellrechnungen reichen nicht aus. Wir setzen seit mehr als einem Jahr ein CO₂-Monitoring-Tool ein und erhalten Primärdaten, mit denen wir arbeiten können.
Wie groß ist der personelle und finanzielle Mehraufwand in Euro oder in Mitarbeitern pro Jahr für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in Ihrem Unternehmen?
Für uns ist die Auseinandersetzung mit und die Gestaltung von Nachhaltigkeit - bei Zufall zusammengefasst in People, Planet und Profit - ein integraler Bestandteil des Unternehmens. Mit entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen, die in den letzten Jahren sukzessive aufgebaut wurden. Deshalb haben wir heute nur einen geringen Mehraufwand.
Haben Sie bereits Aufträge aufgrund ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen gewonnen?
Ja, das haben wir. Immer dort, wo der Nutzen einer nachhaltigen Logistikleistung höher gewichtet wurde als die Kosten. Die Unternehmen, die diese Leistungen nachfragen, unterscheiden sich also nicht nach Branchen, sondern nach dem Wert, den sie dieser Leistung beimessen. Ein Beispiel aus dem Transportbereich ist unser Kunde Ottobock, für den wir Equipment zu den Paralympischen Spielen in Paris transportiert haben - mit drei Elektro-Lkw. Eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten: für Ottobock und Zufall, die beide eine stark verankerte Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen, und für das Sportgroßereignis, das sich zum Ziel gesetzt hatte, den CO₂-Ausstoß im Vergleich zu früheren Veranstaltungen zu halbieren.
Gibt es bereits weitere Beispiele?
Nachhaltigkeit spielt auch in der Kontraktlogistik eine entscheidende Rolle. Distribo, unser Joint Venture mit dem Göttinger Biopharma-Unternehmen Sartorius, hat im Herbst 2024 eine neue Logistikhalle und ein Repair-Center eingeweiht. Life-Science-Produkte müssen bei konstanten Temperaturen gelagert werden. Dieser Herausforderung haben wir uns mit einer besonderen Technik gestellt und Betonkernaktivierung, Wärmepumpen, Eisspeicher und Photovoltaik kombiniert. Das Besondere ist, dass beide Gebäude sowohl beheizt als auch aktiv gekühlt werden. Die Energiebilanz ist positiv. Der Einsatz moderner Lagertechnik, unter anderem fahrerlose Transportsysteme (FTS), und der Einsatz intelligenter LED-Beleuchtungssysteme, die sich auf die einzelne Regalreihe abstimmen lassen, runden die Maßnahmen ab. Wenn effiziente Lager- und Kommissionierprozesse das Rückgrat eines erfolgreichen Logistikprojektes sind, dann sind die Nachhaltigkeitselemente die Muskeln und Sehnen, die alles stützen und verbinden.
„Wenn ich keine Nachhaltigkeitsbestrebungen nachweisen kann, scheitere ich bei Ausschreibungen bereits bei der Angebotsabgabe“
Wie relevant ist die Nachhaltigkeit bei der Auftragsvergabe?
Ich fange schon einen Schritt früher an: Wenn ich keine Nachhaltigkeitsbemühungen nachweisen kann, falle ich bei Ausschreibungen schon bei der Angebotsabgabe durch. Unsere Kunden sind sich ihrer Verantwortung ebenso bewusst wie wir. Es ist klar, dass dies auch in den Prozess der Auswahl von Dienstleistern und der Vergabe von Aufträgen einfließt.
Für welche Branche stiften nachhaltige Angebote einen Mehrwert?
Für welche nicht?
Wo können Sie mit nachhaltigen Angeboten einen Wettbewerbsvorteil erzielen?
Wir haben heute 14 E-Lkw im Einsatz, mit denen wir in den letzten 12 Monaten Erfahrungen in nahezu allen Transportaufgaben gesammelt haben. Wir haben eine CO₂-freie Transportdienstleistung entwickelt sodass wir im Sammelgutverkehr in der gesamten Zufall-Welt in der Prozesskette Vorlauf, Hauptlauf und Nachlauf ohne CO₂-Emissionen auskommen. Wir denken in der Zufall-Welt von Ende zu Ende. Das bedeutet neben den ziehenden Einheiten auch den Aufbau einer Ladeinfrastruktur an unseren fünf Speditionsstandorten sowie den Ausbau der Photovoltaikanlagen zur autarken Energieerzeugung - die Fläche wird sich 2025 gegenüber Herbst 2024 auf rund 8.300 m² mehr als verdoppeln. Das ist ein Wettbewerbsvorteil. Die Erfahrungen, die wir in den letzten 12 Monaten mit der E-Mobilität gesammelt haben, sind unbezahlbar. Wir bauen auf unserer Pionierarbeit auf und arbeiten bereits an weiteren Effizienzsteigerungen und Prozessentwicklungen, während andere Unternehmen oft noch in der Planungsphase stecken. Um die Wirkung nachhaltiger Transportdienstleistungen zu erhöhen, braucht es die Netzwerkpartner in den Kooperationen. Das ist der logische nächste Schritt.
Welche grundlegenden Erkenntnisse haben Sie bei der doppelten Wesentlichkeitsanalyse gewonnen?
Eine Erkenntnis war, dass eine Wesentlichkeitsanalyse das gesamte Unternehmen fordert. Sie kann nicht im stillen Kämmerlein durchgeführt werden. Die Methode ist sehr umfangreich, zeit- und ressourcenintensiv. Gleichzeitig haben wir sie als wertvolles Instrument erkannt, um strukturiert zu erfassen, an welchen Stellschrauben im Unternehmen gedreht werden muss, damit wir Optimierungspotenziale heben. Die Analyse richtet den Lichtkegel der Aufmerksamkeit neu aus und rückt Themen in den Fokus, die bisher am Rande mitliefen. Das ist ein spannender Prozess. Dabei spielt auch unsere Grundhaltung eine Rolle. Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse zeigt Chancen und Risiken auf. Entscheidend ist für uns, wie wir mit den Risiken umgehen. Risiken zu erkennen und zu benennen, ist nur der erste Schritt. Die Arbeit mit ihnen verstehen wir grundsätzlich als Chance. Sie ist die Basis für unsere Weiterentwicklung.
Welche Impulse zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle haben Sie durch die CSRD und die doppelte Wesentlichkeitsanalyse erhalten?
Unsere Entscheidung, in E-Mobilität, konkret in E-LKW und eine Ladestruktur, zu investieren und damit neue Produkte zu entwickeln, basiert auf unserem Leitbild, Logistik nachhaltig achtsam zu gestalten. Unser Leitbild gibt den Impuls und weniger eine Richtlinie wie die CSRD oder die damit verbundene Wesentlichkeitsanalyse.
Was würden Sie an der aktuellen Klimaschutzgesetzgebung für Ihren Geschäftsbereich verändern und warum?
Ich wünsche mir statt einer Änderung, dass das, was an Klimaschutzgesetzgebung da ist, auch umgesetzt wird. Und nicht unter den Tisch zu fallen droht, weil die wirtschaftlichen Herausforderungen gerade größer sind. Planbarkeit, gute Rahmenbedingungen für Entscheidungen, weniger Hürden im Umgang mit Innovationen, das ist es, was wir brauchen. Wir brauchen nicht ständig Entscheidungen infrage zu stellen. Das haben wir bei der Förderung von E-Lkw gesehen. Entweder macht es für die Gesellschaft und die Wirtschaft Sinn oder nicht, dieses Hin und Her hilft niemandem.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt sich für viele Transport und Logistikunternehmen personell und finanziell zu einer großen Belastung. Andererseits entsteht dadurch auch die Chance, neue, klimafreundliche Geschäftsmodelle zu entwickeln und sich gegenüber Kunden sowie Partnern als grüner Dienstleister zu positionieren. Insbesondere für mittelständische Logistiker bedeuten die Anforderungen der Nachhaltigkeit neben Chancen aber auch Risiken. Ihre Herangehensweisen unterscheiden sich teilweise deutlich voneinander. In einer Umfrage hat die DVZ deshalb untersucht, wie sich die Dokumentation von Treibhausgasemissionen auf die Geschäftsprozesse von Transport und Logistikunternehmen auswirkt und welche Wettbewerbsvorteile nachhaltige Angebote bieten können. Hier geht's zu den Umfrage-Ergebnissen