Wer in diesen Tagen für Nachhaltigkeit in einem Logistikunternehmen verantwortlich ist, steht unter massivem Druck.

Bild: Tirachard/iStock

Wer sich um Nachhaltigkeit kümmert, muss einstecken können

26.05.2025

Es ist höchste Zeit, den Menschen mehr Wertschätzung entgegenzubringen, die in Logistikunternehmen Nachhaltigkeit vorantreiben, findet Moritz ­Petersen. Laut dem KLU-Professor verrät ihre Lage viel über die Branche.

Haben Sie heute schon Ihre Nachhaltigkeitsmanager umarmt? Nein? Dann sind Sie nicht allein. In vielen Logistikunternehmen fristen die Menschen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, ein Dasein irgendwo zwischen Pflichtprogramm, Feigenblatt und Prellbock.

Wer in diesen Tagen für Nachhaltigkeit in einem Logistikunternehmen verantwortlich ist, steht unter massivem Druck. Auf regulatorischer Seite gibt es eine dramatische Zunahme an Berichtspflichten. Wer bisher meinte, man könne ESG-Themen irgendwie „mitlaufen lassen“, sieht sich nun mit detaillierten Anforderungen konfrontiert – inklusive Haftungsrisiken. Gleichzeitig wächst der Druck von Kundenseite. Immer mehr Versender geben Klimaziele vor und verlangen Nachweise für CO2-Reduktionen – zum Nulltarif natürlich. Und auch die Finanzwelt schaut genau hin: Nachhaltigkeitsratings beeinflussen Kreditkonditionen, Investitionen und ganz allgemein das Image eines Unternehmens

Und die Logistiker selbst? Die sagten in einer DVZ-Umfrage vor der Bundestagswahl mehrheitlich, dass sie mit dem Tempo der Dekarbonisierung des Verkehrssektors zufrieden sind oder es sogar als zu hoch empfinden. Auch vor dem Hintergrund zunehmender Extremwetterereignisse direkt vor den Haustüren der Abstimmenden ist das ein etwas überraschendes Feedback – um es vorsichtig auszudrücken.

Wie ein Schweizer Taschenmesser

Mitten in diesem Spannungsfeld sitzen die Nachhaltigkeitsverantwortlichen. Viele sind hoch motiviert, bestens qualifiziert und brennen für das Thema. Wie eine Art Schweizer Taschenmesser sollen sie helfen, Klimaziele zu erreichen, Lieferketten resilienter zu machen, soziale Mindeststandards durchzusetzen und all das auch noch lückenlos zu dokumentieren. Und zwar möglichst gestern. Dafür bekommen sie ein kleines Budget, wenig Entscheidungskompetenz, viel Erwartungsdruck – und dann das Eingeständnis, dass man „das Thema ja leider nicht zur Priorität machen kann, solange der Markt so schwierig ist“.

Denn auch wenn Nachhaltigkeit in der Außendarstellung noch als Differenzierungsmerkmal gilt (wer postet schließlich nicht gerne ein LinkedIn-Selfie vor einem E-Lkw): Intern werden genau diese Vorhaben oft als ungeliebter Kostenfaktor gesehen – und die dafür zuständigen Personen gleich mit. In dieser Hinsicht gleichen Nachhaltigkeitsverantwortliche der Logistik selbst. Auch sie wird in vielen produzierenden Unternehmen zwar als „wichtig“ bezeichnet, soll aber bitte möglichst leise und billig sein. Sichtbar wird sie erst, wenn etwas schiefläuft. Dass Nachhaltigkeit und Logistik beide unter struktureller Wertschätzungsschwäche leiden, ist kein Zufall. Beide arbeiten oft im Hintergrund, beide erzeugen keinen direkten Umsatz, beide sind operativ anspruchsvoll.

Verwässerung der Nachhaltigkeitsregelungen droht

Als wäre der Weg der Nachhaltigkeitsverantwortlichen nicht schon steinig genug, weht nun auch aus Brüssel ein zunehmend rauer Wind: Mit dem Omnibus-Paket wird an der Verwässerung wichtiger Nachhaltigkeitsregelungen gearbeitet – insbesondere der CSRD. Zeitgleich geraten weltweit Initiativen rund um Diversität und Menschenrechte unter Druck – teils aus Furcht vor Reaktionen aus den USA. Auch in der öffentlichen Debatte erleben wir die Rückwärtsrolle: Von „zu viel ESG“ ist die Rede, von „Bürokratiewahnsinn“ und einem „Standortnachteil Europa“. Das mag in Einzelfällen berechtigte Kritik sein – doch für diejenigen, die Nachhaltigkeit im Unternehmen vorantreiben wollen, ist es vor allem entmutigend. Denn was sendet das für ein Signal? Dass sich ihr Einsatz nicht lohnt? Dass die mühsam aufgebauten Strukturen, Systeme und Prozesse jederzeit wieder einkassiert werden können? Dass es einfacher ist, auf Zeit zu spielen, als zu handeln?

Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr moralische Kür

In diesem Klima (im doppelten Sinne!) braucht es nicht weniger, sondern mehr Haltung. Die Menschen, die heute Nachhaltigkeit in Logistikunternehmen verantworten, arbeiten gegen den Strom – und das oft mit erstaunlicher Resilienz. Sie kämpfen weiter, weil sie wissen, dass die Herausforderungen nicht kleiner werden. Diese unerschütterliche Eigenmotivation ist keine Selbstverständlichkeit und genau das, was Unternehmen jetzt nicht verspielen dürfen.

Nachhaltigkeitsverantwortliche haben längst eine entscheidende Rolle eingenommen. Denn anders als manchmal wahrgenommen, haben auch sie keinen Spaß an kleinteiliger, überbordender Bürokratie. Im Gegenteil: Sie bauen an der langfristigen Transformation der Unternehmen. Ihre Aufgabe ist nicht nur, Gesetze einzuhalten oder CO2-Moleküle zu zählen – sie entwickeln Strategien, um Geschäftsmodelle zukunftsfähig zu machen, und sind Katalysatoren für Veränderung. Und diese Veränderung ist nicht optional. Ob man will oder nicht: Der Druck ist da. Die Antriebswende kommt und erfordert Investitionen. Der Fachkräftemangel ist real, und vernünftige Arbeitsbedingungen werden zum Standortfaktor. Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr moralische Kür und leider auch kein kurzfristiger Business Case, sondern langfristig wirtschaftliche Notwendigkeit.

Umso wichtiger ist es, dass die Menschen, die diesen Wandel vorantreiben wollen, auch wirklich handeln dürfen. Sie verdienen nicht nur Anerkennung, sondern auch Rückhalt und Verantwortung. Wer hier Feindbilder konstruiert, ist gedanklich komplett falsch abgebogen. Denn die Arbeit dieser Menschen entscheidet mit darüber, ob Unternehmen künftig noch wettbewerbsfähig sind und ihrer Rolle in einer sich verändernden Welt gerecht werden.

Natürlich trifft das hier gezeichnete Bild nicht auf alle Unternehmen und Situationen zu. Und Umarmen im wörtlichen Sinne muss vielleicht auch nicht sein. Aber probieren Sie es doch gleich heute einmal aus, gehen Sie rüber zum Team Nachhaltigkeit und sagen Sie einfach mal Danke. (fw)

Bildergalerie

  • Moritz Petersen ist Professor an der Kühne Logistics University (KLU) und leitet dort das Center for Sustainable Logistics and Supply Chains. Er wirbt dafür, den Menschen mehr Wertschätzung entgegenzubringen, die in Logistikunternehmen das Thema vorantreiben. Ihre Lage verrate viel über die Branche insgesamt, sagt er.

    Moritz Petersen ist Professor an der Kühne Logistics University (KLU) und leitet dort das Center for Sustainable Logistics and Supply Chains. Er wirbt dafür, den Menschen mehr Wertschätzung entgegenzubringen, die in Logistikunternehmen das Thema vorantreiben. Ihre Lage verrate viel über die Branche insgesamt, sagt er.

    Bild: Stefan Bungert

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