Deutschland steht vor einer gewaltigen Aufgabe: Straßen, Brücken und Schienen müssen in Rekordzeit modernisiert werden, um Klimaziele und Wirtschaftskraft nicht zu gefährden. Finanzielle Mittel sind so reichlich vorhanden wie nie, doch der Engpass liegt an anderer Stelle: Vielerorts fehlen die Strukturen, die Erfahrung und die personelle Ausstattung, um diese Investitionen zügig in konkrete Projekte zu übersetzen. Die Frage ist nicht mehr, ob Geld da ist. Die Frage ist, ob Verwaltung, Politik und Wirtschaft gemeinsam die Umsetzungskraft entwickeln, die jetzt gebraucht wird. Wie können öffentliche Hand und privatwirtschaftliche Unternehmen dies gemeinsam lösen?
Wenn Strukturen und Erfahrung fehlen
Das Kernproblem: Viele öffentliche Auftraggeber sind nicht ausreichend vorbereitet, um Vorhaben dieser Größenordnung professionell zu managen. Kommunale Verwaltungen arbeiten noch mit Strukturen, die auf überschaubare Investitionsvolumina ausgelegt waren. Heute jedoch müssen sie Projekte koordinieren, die komplexer, größer und politisch bedeutsamer sind als je zuvor. Zugleich haben viele Bauämter über Jahre erfahrene Ingenieurinnen und Ingenieure verloren, ohne dass in gleichem Umfang Nachwuchs gewonnen wurde. In der Folge dieses Fachkräftemangels betreuen häufig wenige, ohnehin ausgelastete Mitarbeiter Vorhaben, deren planerische und technische Anforderungen selbst große Organisationen fordern würden.
Das Ergebnis sind Verzögerungen, Kostensteigerungen und eine wachsende Frustration bei Bürgern, Politik und Wirtschaft. Während ambitionierte Zielmarken formuliert werden, stocken Projekte oft schon in der frühen Phase der Antrags- und Genehmigungsverfahren.
Komplexität trifft auf knappe Kapazitäten
Die Praxis zeigt, dass gerade die Verzahnung unterschiedlichster Prozesse die größte Herausforderung darstellt. Eine Brückensanierung oder Streckenerneuerung ist kein lineares Bauvorhaben. Sie umfasst Fördermittelbeantragung, Abstimmung mit Umwelt- und Fachbehörden, Koordination der Verkehrsumleitungen, Vergabeverfahren, baubegleitende Kontrolle und lückenlose Dokumentation.
Viele Kommunen haben diese Komplexität in der Vergangenheit in dieser Dichte nie bewältigen müssen. Heute stehen sie unter einem Erwartungsdruck, der durch Klimaziele und Investitionsfristen zusätzlich steigt. Termine verstreichen, weil Genehmigungen länger dauern als geplant. Fördermittel verfallen, weil Fristen nicht eingehalten werden können.
Ein Aspekt wird dabei oft unterschätzt: die Klimawirkung verzögerter Infrastrukturprojekte. Wenn Brücken gesperrt werden, fahren Lastwagen Umwege durch Wohngebiete. Wenn marode Strecken nicht erneuert werden, verlagert sich Verkehr auf die Straße. Wenn digitale Verkehrsleitsysteme nicht eingeführt werden, stauen sich Autos unnötig. So entstehen jedes Jahr Millionen Tonnen CO₂-Emissionen, die mit moderner Infrastruktur vermeidbar wären.
Wer die Verkehrswende ernst meint, muss neben ambitionierten Programmen auch die praktische Umsetzungskompetenz adressieren – und sich fragen, wie Planungs- und Genehmigungsprozesse so unterstützt werden, dass aus politischen Zielen greifbare Fortschritte werden.
Zahlen, die den Handlungsdruck belegen
Die Dimension des Problems ist unübersehbar: Laut ADAC-Staubilanz wurden 2024 auf deutschen Autobahnen rund 516.000 Staus gemeldet – mit einer Gesamtdauer von über 448.000 Stunden. Gleichzeitig gelten laut Bundesanstalt für Straßenwesen etwa 16.000 Kilometer Fahrbahnen auf Autobahnen und Bundesstraßen als sanierungsbedürftig.
Die Situation der Brücken ist besonders kritisch: Rund 16.000 Bauwerke müssen umfassend saniert oder ersetzt werden. Doch bis Ende 2024 wurden laut Bundesrechnungshof nur 40 Prozent der vorgesehenen Maßnahmen umgesetzt.
Auf der Schiene sieht es ähnlich aus: 30 Prozent des deutschen Netzes hatten nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums 2024 ihre technische Nutzungsdauer überschritten. Die Deutsche Bahn plant die Generalsanierung von rund 4.000 Streckenkilometern im Rahmen der sogenannten Korridormaßnahmen. Diese sollten ursprünglich bis 2031 abgeschlossen sein, nach aktuellen Presseangaben wird nun jedoch eine Verlängerung bis 2035 in Betracht gezogen. Allein diese Verschiebung zeigt, wie groß die Diskrepanz zwischen politischen Zielen und realen Umsetzungskapazitäten ist.
Besondere Herausforderungen im Gleisbau
Gerade der Gleisbau stellt dabei noch einmal spezifische Anforderungen, die in der öffentlichen Debatte oft zu wenig berücksichtigt werden. Anders als beim Straßenbau muss der Bahnbetrieb in vielen Fällen während der gesamten Bauphase aufrechterhalten werden. Das erfordert aufwendige Sperrpausen, hochpräzise Logistik für Materialanlieferung und -lagerung, die Einhaltung eng getakteter Zeitfenster und ein Höchstmaß an Koordination zwischen verschiedenen Gewerken. Hinzu kommt der Umgang mit überalterter Bestandsinfrastruktur, deren Zustand oft erst im Zuge der Bauarbeiten vollständig erfasst werden kann. Diese technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen machen den Gleisbau zu einer Disziplin, in der Qualität, Erfahrung und Präzision entscheidend für den Projekterfolg sind.
Darüber hinaus verschärft der Fachkräftemangel im gewerblichen Bereich die Situation zusätzlich. Neben Planungs- und Ingenieurwissen fehlt es vielerorts auch an erfahrenem Personal, das direkt auf der Baustelle tätig ist. Gebraucht werden eingespielte Teams, die auch bei Nacht- und Wochenendarbeiten zuverlässig, präzise und sicher arbeiten können. Deshalb ist es umso wichtiges, vorhandenes Know-how zu sichern und gezielt neue Fachkräfte zu gewinnen. Ohne diese personellen Ressourcen wird es kaum gelingen, die verkehrspolitischen Ziele auf der Schiene zu erreichen.
Das Infrastrukturpaket: Chance mit Risiko
Die Bundesregierung hat mit dem 500-Milliarden-Euro-Paket ein starkes Signal gesetzt. Doch ohne Strukturen, Personal und verlässliche Partner wird dieses Programm nicht die Wirkung entfalten, die es entfalten könnte. Es reicht nicht, Mittel bereitzustellen. Entscheidend ist, sie so einzusetzen, dass Projekte planbar, zügig und in hoher Qualität umgesetzt werden. Dazu gehören moderne Baustoffe, digitale Instrumente und CO₂-reduzierte Logistik – aber vor allem klare Verantwortlichkeiten.
Ein Projekt, bei dem jeder Beteiligte auf die Entscheidung einer anderen Stelle wartet, wird zwangsläufig scheitern. Fortschritt entsteht nur dort, wo Know-how früh eingebunden wird, wo Prozesse abgestimmt sind und wo alle Beteiligten Verantwortung übernehmen.
Mehr Realismus und mehr Kooperation
Der Erhalt und Ausbau der Infrastruktur ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Die Politik muss anerkennen, dass Planen und Bauen kein Nebenbei-Thema ist, sondern professionelle Steuerung braucht. Kommunen sollten sich offen dazu bekennen, externe Expertise einzubeziehen, wenn die eigenen Ressourcen an Grenzen stoßen. Und die Bauwirtschaft ist gefordert, mehr als reine Bauleistungen zu bieten: Beratung, Projektbegleitung, digitale Prozessunterstützung.
In dieser Kombination kann – und wird – es gelingen, die Ziele der Verkehrswende und die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen.
Über Peter Gross Bau
Peter Gross Bau ist seit mehr als 135 Jahren in der Baubranche aktiv. Es deckt Dienstleistungen aus sämtlichen Sparten der Bauwelt ab, vom Hoch- und Tiefbau bis zur Entwicklung von Straßen, Brücken und Schienentrassen. Mit vielen Niederlassungen, Tochter- und Beteiligungsgesellschaften ist das Familienunternehmen im Südwesten Deutschlands stark verwurzelt und mit bundesweiten Bauvorhaben auch überregional aktiv. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 200 Auszubildende, eine Bauleistung von insgesamt 900 Millionen Euro.