Gilt als ausgewiesener Holzbau-Experte: Carsten Lümkemann, Director Technical Development bei SEGRO Deutschland.

Bild: SEGRO

Tragende Entscheidung

12.08.2025

Warum Vollholztragwerke im Logistikbau immer relevanter werden - und "voll" auf die Themen ESG-Tauglichkeit und Klimapositivität einzahlen.

Feingliedrigere Supply-Chains, neue Formen der Intralogistik und vor allem ESG-Vorgaben seitens der Nutzer und Eigentümer verändern den Markt für Logistik- und Light-Industrial-Immobilien. Entsprechend wandelt sich auch die Bauweise. Neben Gebäudetechnik, Flächenkonfiguration und Fassadengestaltung betrifft dies vor allem das Tragwerk. Während Beton und Stahl jahrzehntelang gesetzt waren, steigt die Zahl an Projekten, die konsequent auf Holztragwerke setzen. Dennoch wird auch Kritik laut: Sind Holztragwerke nicht zu teuer, zu kurzlebig oder zu aufwendig in der Umsetzung? Dabei ist moderner Holzbau weit mehr als Symbolik – wenn er richtig geplant und umgesetzt wird.

Holz ist nicht gleich Holz

Holzbau in der Entwicklung von Gewerbe- und Logistikimmobilien ist kein neues Thema. Doch bisher handelte es sich bei entsprechenden Projekten vorwiegend um sogenannte Holzhybride, bei denen das tragende System letztlich auf konventionellen Materialien beruht. Diese Hybride bieten verglichen mit einer klassischen Stahlbetonweise nur geringe ökologische Vorteile.

Anders bei Projekten mit konsequent holzbasiertem Primärtragwerk, bei denen Stützen, Binder und Pfetten vollständig aus Brettschichtholz (BSH) gefertigt werden – ergänzt höchstens um punktuelle Bauteile wie Anprallschutzsockel aus Stahlbeton. Diese Konstruktionen senken die „graue Energie“, also CO₂-Emissionen aus Herstellung, Transport und Einbau der Materialien, erheblich. Eine von SEGRO entwickelte Immobilie in Neu Wulmstorf zeigt: Bei einer Gebäudefläche von rund 22.000 Quadratmetern ergibt sich gegenüber konventionellen Lösungen eine CO₂-Einsparung von bis zu 1.850 Tonnen – das entspricht rund 15 Millionen Pkw-Kilometern. Erst im Zusammenspiel mit Photovoltaik, Wärmepumpe, LED-Tageslichtsteuerung und digitalem Energiemanagement wird das Nachhaltigkeitspotenzial vollständig ausgeschöpft.

Nutzungsperspektive: Langlebig, wartungsarm, belastbar

Ebenfalls häufig geäußert wird die Frage, ob Holz wirklich robust genug für großflächige, hoch frequentierte Logistiknutzung sei. Die Antwort lautet: Ja, bei professioneller Planung und Ausführung. Tragwerke aus Brettschichtholz sind äußerst tragfähig, formstabil und in geprüften Feuchteklassen (Nutzungsklasse 1 nach DIN EN 1995) für trockene Innenbereiche über Jahrzehnte einsetzbar. Die tragenden Elemente sind konstruktiv so entkoppelt, dass sie nicht mit Feuchtigkeit oder Witterung in Berührung kommen. Bei intakter Gebäudehülle liegt die technische Lebensdauer bei mindestens 50 Jahren, dies ist also vergleichbar mit Beton oder Stahl. Regelmäßige Erneuerungen sind nicht erforderlich, einzelne Bauteile lassen sich bei Bedarf modular austauschen. Für Nutzer bedeutet das: eine stabile Tragstruktur mit langfristig kalkulierbaren Betriebskosten.

Entsorgung & Rückbau: Was passiert am Ende des Lebenszyklus‘?

Auch zum Thema Entsorgung kursieren kritische Stimmen. Doch Holztragwerke aus Vollholz lassen sich – sortenrein rückgebaut – stofflich oder thermisch verwerten. Bei BSH ist die thermische Verwertung der Standard. Zwar sind die eingesetzten Klebstoffe im BSH nicht biologisch abbaubar, doch der Werkstoff gilt gemäß dem Europäischen Abfallverzeichnis (AVV) als nicht gefährlich und kann thermisch verwertet werden. Entscheidend ist die Modularität: Bei rückbaufreundlicher Planung lassen sich die Bauteile separat entnehmen und verwerten. Erste Pilotprojekte zur Wiederverwendung ganzer Holztragwerke sind bereits in Entwicklung.

Standortfaktor: ESG wird zur Flächenentscheidung

In der Praxis zeigt sich, dass Projekte mit Vollholztragwerken besonders dort realisiert werden, wo ESG-Anforderungen, technologische Komplexität und unternehmensstrategische Überlegungen zusammenkommen. Logistikimmobilien werden vermehrt als Teil der Markenidentität gesehen, etwa durch transparente Bauweise, sichtbare Holzelemente oder externe Nachhaltigkeitszertifikate. Immer mehr Nutzer bewerten Flächen nicht nur nach Quadratmetermiete, sondern nach ESG-Tauglichkeit und Klimapositivität.

Wenn ein Gebäude über den gesamten Lebenszyklus hinweg weniger CO₂-Emissionen verursachen soll, als es durch Energieerzeugung und Bauweise kompensiert, ist ein geringer ökologischer Fußabdruck bei der grauen Energie unumgänglich. Projekte mit Holztragwerk, Grünstromproduktion und fossilfreier Wärmeversorgung können diesen Anspruch in der Praxis abbilden und dabei nicht nur regulatorische, sondern auch wirtschaftliche Anforderungen erfüllen.

Preisfrage: Noch teuer – aber zunehmend wirtschaftlich

Holz ist kein Billigmaterial. Je nach Marktphase liegen die Baukosten bei Tragwerken aus BSH rund 5 bis 10 Prozent über konventionellen Lösungen. Das kann abschreckend wirken, relativiert sich jedoch bei ganzheitlicher Betrachtung. Denn: Die Reduktion des CO₂-Fußabdrucks verbessert ESG-Scores, steigert die Drittverwendungsfähigkeit und erschließt neue Nutzergruppen. Die höhere Investition amortisiert sich also mittelbar, über geringere Leerstandrisiken, bessere Finanzierung und langfristige Wertstabilität. Zudem dürfte sich das Preisdelta aufgrund von Skaleneffekten verringern, je mehr Vollholztragewerke umgesetzt werden.

Perspektive: Vom Ausnahmefall zum Standard?

Noch ist Holzbau im Logistiksektor eher die Ausnahme. Die größten Hürden liegen aktuell bei Produktionskapazitäten, regionaler Materialverfügbarkeit und Know-how. Doch diese Engpässe beginnen sich aufzulösen. Zahlreiche Holzbauunternehmen investieren in neue Fertigungslinien, und auch die Nachfrage steigt.

Während Holzbauten in urbanen, gemischt-genutzten Gewerbeparks längst etabliert sind, entdeckt die Logistik ihr Potenzial gerade erst. Experten erwarten, dass sich der Anteil holzbasierter Hallenprojekte im mittleren Größensegment (10.000 bis 30.000 m² Nutzfläche) bis 2030 deutlich erhöhen wird. Entscheidend wird sein, dass Entwickler, Nutzer, Behörden und Planer frühzeitig an einem Strang ziehen – und Holz nicht nur als Baustoff, sondern als Ressource für resiliente, nachhaltige Infrastruktur verstehen.

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