Die EU soll für die Binnenschifffahrt jährlich 1,6 Millionen Tonnen Hydriertes Pflanzenöl (HVO) zu mit Diesel vergleichbaren Preisen reservieren, fordern Branchenverbände. Flankiert durch einen „stabilen EU-Regulierungsrahmen“ könne das der Dekarbonisierung der Binnenschifffahrt einen Schub geben, heißt es in einem Positionspapier der europäischen Binnenschifffahrtsverbände EBU, ESO, INE, des Binnenhafenverbandes EFIP und vier weiterer Branchenvereinigungen. Die Verbände legen darin dar, wie ihrer Meinung nach die Binnenschifffahrt im Investitionsplan für nachhaltigen Verkehr (STIP – Sustainable Transport Investment Plan) und in der Industriestrategie für die Schifffahrt berücksichtigt werden sollte. An beiden Initiativen arbeitet die EU-Kommission derzeit.
Die von vielen kleinen Unternehmen geprägte Branche beklagt seit jeher, dass sie sich besonders schwertut, die Investitionen zu stemmen, die für die Anschaffung neuer Antriebstechnologien und den Umstieg auf Strom, Methanol oder Wasserstoff als Treibstoffe nötig wären. Der Einsatz von HVO wäre ein Weg zu rascher Dekarbonisierung, schreiben die Verbände, da das Pflanzenöl über die bestehende Tankstelleninfrastruktur zur Verfügung gestellt und in herkömmlichen Motoren verbrannt werden könne. „Der Umstieg wird derzeit aber dadurch verhindert, dass es nicht gelingt, die deutlich höheren Preise von HVO an die Transportkunden weiterzugeben“, heißt es in dem Papier. Das an deutschen Tankstellen für Lkw angebotene HVO100 ist derzeit 8 bis 15 Cent pro Liter teurer als fossiler Diesel.
„Die Binnenschifffahrt ist bereits führend in Sachen Nachhaltigkeit und die Branche ist bereit, den Übergang zu Nullemissionstechnologien zu beschleunigen“, sagte EBU-Präsident Matthieu Blanc. Dafür sei aber Unterstützung durch die EU-Kommission und den STIP nötig. Derzeit müssten Nutzer von Nullemissionstechnologien mit Unternehmen konkurrieren, die billigere fossile Treibstoffe verwenden, argumentieren die Verbände. Es gebe keine finanziellen Anreize für einen Umstieg.
Fast alle Binnenschiffe fahren noch mit Diesel
Von den knapp 12.000 Binnenschiffen auf Europas Wasserstraßen fahren laut dem Papier 99,9 Prozent noch mit konventionellem Dieselmotor. Eine Studie von 2021 habe gezeigt, dass der Umstieg auf in modernen Stage-V-Motoren verbranntem HVO die günstigste Möglichkeit sei, den Sektor zu dekarbonisieren. Die Kosten dafür lägen etwa 50 Prozent über denen des Einsatzes von fossilem Treibstoff in Stage-2-Dieselmotoren. Ein Umstieg auf andere Antriebsarten wie flüssiges Biomethan (LBM), batterieelektrische Antriebe, Brennstoffzellen (mit Wasserstoff oder Methanol betrieben) oder Wasserstoff-Verbrennungsmotoren sei deutlich teurer. Ammoniak gilt in der Binnenschifffahrt nicht als Alternative, unter anderem wegen Sicherheitsbedenken.
Die Branchenverbände erwarten, dass zwischen 2020 und 2050 rund zwei Drittel der existierenden Flotte umgerüstet werden, während ein Drittel durch Neubauten ersetzt wird. „Der bedeutendste Fortschritt bei der Dekarbonisierung muss daher kommen, bestehende Schiffe mit sauberen Motoren nachzurüsten, in denen HVO als erneuerbarer Treibstoff beigemischt wird“, schreiben sie. Mit einer etwa 2030 zum wettbewerbsfähigen Preis zur Verfügung gestellten Menge von 1,6 Millionen Tonnen HVO im Jahr – der Menge, die EU-Binnenschiffe 2015 an Diesel verbrauchten – werde der aktuelle Unterschied bei den Gesamtbetriebskosten (TCO – Total Cost of Ownership) verschwinden und die Binnenschifffahrt könne ihr Klimaschutzziel erreichen, die Emissionen bis 2050 um 90 Prozent gegenüber 2015 zu senken.
Zur regulatorischen Unterstützung gehört für die Autoren der Studie eine verlässliche Versorgung mit HVO, wozu etwa eine einheitliche Anwendung der Richtlinie für erneuerbare Energie im Binnenschiffsbereich in allen EU-Staaten beitrage. Ebenso eine harmonisierte Besteuerung von HVO und HVO-Beimischungen, die kurzfristig dabei helfen könnten, dessen Einsatz rentabel zu machen.
HVO soll auf Dauer nicht die einzige Alternative bleiben
In bestimmten Marktsegmenten, besonders im Container-Shuttleverkehr, könnten batterieelektrische Antriebe mit HVO konkurrieren, meinen die Verbände. Sie haben hier ein System im Auge, bei dem austauschbare Batteriecontainer verwendet werden. Das sei in den Niederlanden bereits erprobt worden, im Projekt ZES (Zero Emission Services).
Auf jeden Fall sollten neben HVO auch andere Antriebsalternativen weiterentwickelt werden, heißt es in dem Papier. Sich völlig von Hydriertem Pflanzenöl abhängig zu machen, bringe Risiken durch steigende Preise und durch ein möglicherweise knappes Angebot mit sich. Denn auch andere Verkehrsträger und Wirtschaftsbranchen wollten HVO einsetzen. Die Internationale Energieagentur (IEA) erwartet einen stark wachsenden Bedarf an „erneuerbarem Diesel“, während die Menge nachhaltig erzeugter Biomasse oder ihrer Abfallprodukte nur langsam zunehmen werde. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schreibt in einer Analyse unter Verweis auf das Umweltbundesamt: „Die verfügbare Menge an Biomasse wird perspektivisch nicht ausreichen, um den Verkehrssektor umfassend zu dekarbonisieren. Deshalb sind alternative Biokraftstoffe wohl vorrangig in Bereichen einzusetzen, in denen eine Elektrifizierung schwer umsetzbar ist, wie im internationalen Luft- und Seeverkehr, in Teilen der Landwirtschaft und möglicherweise im Lkw-Fernverkehr.“
Daten zu HVO sind schwierig zu finden
Daten über das Angebot an HVO sind nicht einfach zugänglich. In Statistiken zu Biodiesel wird das Hydrierte Pflanzenöl oft nicht separat ausgewiesen. Dem European Biodiesel Board (EBB) zufolge wurden 2022 in der EU 13,7 Millionen Tonnen Biodiesel hergestellt, laut Statista werden jährlich rund 17 Millionen Tonnen davon verbraucht. Der HVO-Anteil an der von EBB-Verbandsmitgliedern erzeugten Biodiesel-Menge lag 2022 bei 10 Prozent. Hochgerechnet auf die Gesamtmenge könnten in der EU demnach 1,37 Millionen Tonnen HVO hergestellt worden sein. Nach Deutschland importiert wurden 2022 laut dem Branchenverband UFOP 485.000 Tonnen HVO. Zahlreiche Marktbeobachter gehen davon aus, dass der HVO-Markt deutlich wachsen wird. Oliver Steen, Deutschland-Geschäftsführer des Biotreibstoffherstellers Finco Energies, sagte der DVZ, die weltweite HVO-Produktion werde von heute knapp 30 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2030 auf rund 80 Millionen Tonnen steigen.
T&E warnt vor Betrug mit Rohstoffen
Die europäische Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) warnt unterdessen vor möglichem Betrug bei der Herstellung von HVO. Häufig werde zur Produktion des Treibstoffes Palmölmühlen-Abwasser (POME – Palm Oil Mill Effluent) verwendet. Laut einer Studie von T&E wird als Bestandteil von europäischem HVO aber nahezu doppelt so viel POME angegeben, wie schätzungsweise insgesamt weltweit verfügbar ist. Die indonesische Regierung habe im Januar Daten veröffentlicht, wonach die 2023 und 2024 angemeldeten POME-Exporte deutlich über der von der Regierung für realistisch gehaltenen POME-Produktionskapazität des Landes lägen.
„Es scheint, als ob es sich bei einer Menge der Palmölmühlen-Abwässer in Wirklichkeit um Palmöl handeln könnte“, sagte Cian Delaney, Biokraftstoff-Experte bei T&E. Die EU hat entschieden, dass Biotreibstoffe aus Palmöl nicht mehr zur Erfüllung der Zielvorgaben für erneuerbare Energie für das Jahr 2030 angerechnet werden. Delaney forderte, die EU müsse politische Anreize streichen, die zum Import „zweifelhafter Biotreibstoffe“ führen könnten.